Der Wegbereiter
Eines der größten Probleme der Industrie hat mit Gefieder zu tun. Die Frage, wer zuerst da war, Henne oder Ei, ist Jahrtausende alt und noch immer aktuell. Übertragen in die Ära der Energiewende lautet sie: Was muss zuerst da sein, damit die Wasserstoff-Wirtschaft den Durchbruch schafft – genügend Anwendungen für den Energieträger? Oder möglichst viel Wasserstoff, damit der Markt in Schwung kommt?
Michael Mielke kennt die Debatte. Für ihn zählt, dass die notwendige Technik vorhanden ist, damit Wasserstoff möglichst bald zum Massenprodukt wird. Denn Rheinmetall, Mielkes Arbeitgeber, produziert Komponenten für Brennstoffzellen, für Elektrolyseure, für die Speicherung und die Verteilung von Wasserstoff. „Wir gehen davon aus, dass der Markt ab 2026/2027 ein stärkeres Wachstum erfährt“, sagt er. So lange werde das Henne-Ei-Problem immer wieder aufkommen. „Bis dahin müssen wir unbeirrt und fokussiert unsere Strategie verfolgen und sie womöglich auch anpassen.“
„Leiter Geschäftsbereich Wasserstoff“ steht auf Mielkes Visitenkarte. Die Sparte ist noch klein, aber sie hat Großes vor. Der Hauptsitz ist bei Pierburg in Berlin. „Wir wollen uns zu einem Lösungsanbieter rund um das Thema Wasserstoff entwickeln und unser Produktportfolio kontinuierlich ausbauen“, sagt der promovierte Ingenieur. Unbekanntes schreckt ihn nicht – sein Schwerpunkt im Studium war Raumfahrttechnik.
Vom Vergaser zur Luft-Bypasskappe
Das Berliner Werk hat eine lange Tradition. 1909 vom Stahlhändler Bernhard Pierburg gegründet, wurde es in den 1980er Jahren von Rheinmetall übernommen. Vergaser waren lange das wichtigste Geschäftsfeld, dann Regelventile, Abgaskomponenten und Pumpen. Mit dem nahen Auslaufen des Verbrenners steht wieder eine Transformation an. Wasserstoff, Elektrifizierung und Digitalisierung sind wichtige Elemente.
Seit 2001 hat Rheinmetall Wasserstoff auf dem Zettel. Zwar haben sich viele Autobauer auf die Batterie als Kraftquelle festgelegt. Doch für Branchen wie Stahl, Chemie, Beton oder Transport führt bei der Dekarbonisierung kein Weg am Wasserstoff vorbei. „Busse, Lkw, Schiffe, Minenfahrzeuge, stationäre Anlagen – überall sind Brennstoffzellen und andere Wasserstofftechnologien möglich“, sagt Mielke. Batterien seien oft zu schwer, als Energiespeicher nicht optimal oder mit möglichen Ressourcenproblemen verbunden.
Technisch gesehen geht es bei Wasserstoff immer um dasselbe Prinzip. Damit in einer Brennstoffzelle Wasserstoff und Sauerstoff miteinander reagieren können, braucht es eine Anode, eine Kathode und eine Elektrolytmembran. Hinzu kommen Pumpen und Ventile, die wegen des flüchtigen Wasserstoffs besonders dicht sein müssen. Oder Dichtungen, Wärmetauscher und andere Teile für das Thermo-Management. Diese Bauteile werden in einem Lkw-Antriebsstrang eben so benötigt wie in industriellen und stationären Anwendungen. „Hier lässt sich vieles vereinheitlichen, ähnlich einem Baukastensystem“, sagt Mielke. „Somit können wir auch durch Volumeneffekte die Kosten weiter optimieren. Das ist unser Plan.“
Noch arbeiten nur rund 100 Entwickler im Konzern am Thema Wasserstoff. Verglichen mit den 6.700 Menschen in der gesamten zivilen Rheinmetall-Division Power Systems ist das nicht viel. Doch bald soll es bergauf gehen. „Einige große Aufträge haben wir bereits eingesammelt – in Summe schon über 500 Millionen Euro. Darauf können wir aufbauen“, freut sich Mielke. Kühl- und Wasserstoffpumpen für Busse, schwere Lkw mit Brennstoffzelle sowie stationäre Anwendungen laufen gut, ebenso Kathodenventile, die die Frisch- und Abluft an Brennstoffzellen regeln.
Ob nun Wasserstoff-Komponenten oder Teile für Verbrennungsmotoren produziert werden – das nötige Know-how überschneide sich oft und werde kontinuierlich ausgebaut. Die Qualifizierung der Beschäftigten laufe gut, sagt Mielke. „Entscheidend ist, dass die Leute für das Thema brennen.“ Doch ist es nicht riskant, in eine Technologie zu investieren, deren Erfolg nicht sicher ist? Findet Mielke nicht. Wasserstoff sei gesetzt, die Frage sei nur, wo er sich zuerst durchsetze. Auch die Politik habe das erkannt und stelle die nötigen Weichen. Das Engagement werde sich auszahlen, glaubt Mielke. „Es ist besser, in einem Zug zu sitzen, der den Bahnhof in Richtung Zukunft verlässt, als am Gleis zu stehen und zu winken.“