
Die Welt am Haken
Fast wäre alles aus gewesen. Nachdem Russland im Frühjahr 2022 die Ukraine überfallen hatte und daraufhin die Stahlpreise nach oben schossen, wurde es eng für Kocks Ardelt Kranbau. Zwar hatte das Unternehmen aus Eberswalde als Lieferant von Logistik-Kranen weltweit einen hervorragenden Ruf und einen Auftragsbestand von fast 150 Millionen Euro. Doch ohne Stahl lässt sich kein Kran bauen, und die Beschaffungskosten dafür gingen plötzlich durch die Decke. „Es gab keinen Ausweg“, erinnert sich Uwe
Grünhagen, damals der Geschäftsführer des Unternehmens. „Es blieb nur die Insolvenz.“
Geschäftsführer ist er heute wieder – der Betrieb trägt aber einen anderen Namen: Ardelt Kranbau. Und anders als 2022 ist Grünhagen nicht mehr Angestellter, sondern Besitzer. „Der Insolvenzverwalter wollte den Betrieb nicht fortführen, ein Investor hat sich aber nicht gefunden“, sagt der 62-Jährige. „Da habe ich es gemacht.“ Sein Management-Buyout ermöglichte der Firma einen Neubeginn. „Mein Lebensplan hat eigentlich anders ausgesehen.“

Die lange und wechselvolle Geschichte des Kranbaus in Eberswalde kann damit weitergehen. Seit 1902 kommen Krane von hier. Sie nehmen alles an den Haken oder auf die Schippe, was im Welthandel eine Rolle spielt: Container mit iPhones aus China, Kakaobohnen aus Costa Rica, Kohle aus Australien, Holzpellets aus Schweden und vieles mehr. Die Giganten sind unverzichtbar im Warenaustausch per Schiff, auch bei der Eisenbahn, auf Werften oder in Stahlwerken. Ardelt-Kräne finden sich heute überall auf dem Globus– in Frankreich, Lettland, Norwegen, Aserbaidschan, Bahrain, den USA, Sri Lanka, Chile, Marokko und in vielen anderen Ländern. Auch das Service-Geschäft ist für Ardelt ein wichtiges Standbein.

Einst arbeiteten in Eberswalde mehr als 3.000 Menschen, als der Betrieb noch VEB Kranbau hieß. Später gehörte er zeitweise zur Bremer Vulkan-Gruppe, nach deren Pleite in den Neunzigerjahren kamen andere Besitzer. Zum Zeitpunkt der Insolvenz im Jahr 2022 zählte die Belegschaft noch gut 160 Leute. Heute sind wieder mehr als 60 Menschen an Bord, Tendenz steigend. „Wir stellen ein und suchen Fachkräfte ebenso wie Auszubildende“, sagt Grünhagen. Möglich machte den Neustart ein Auftrag aus Bremen im Wert von 13 Millionen Euro. Der bestellte Kran entsteht gerade, im Oktober soll er zum Kunden kommen und dort aufgebaut werden. „Der Markt ist noch immer groß, wir können aktuell die Nachfrage aus aller Welt aber nur unter Berücksichtigung der Working-Capital-Finanzierung und der eigenen Kapazitäten bedienen“, berichtet Grünhagen.

Die Kräne aus Eberswalde sind weltweit begehrt, weil sie etwas Besonderes sind. Sie arbeiten nach dem patentierten Doppellenker-Prinzip. Das bedeutet, dass der Haken und die Last dank der Konstruktion immer auf einer Höhe bleiben, auch wenn der Ausleger ausgefahren wird. Das sorgt für mehr Stabilität und Sicherheit der Güter beim Verladen. Ein komplett aufgebauter Kran ist in Eberswalde allerdings nie zu sehen, nur die wichtigsten Komponenten. „Wir fertigen hier alles, was technisch anspruchsvoll ist, also die Maschinenhaus-Plattform mit Drehwerk, die Steuerung, den Antrieb, das Hubwerk und das Wippwerk“, erzählt Grünhagen. Die Elektromotoren, Transformatoren und Maschinenbaukomponenten kauft Ardelt bei Zulieferern ein. Einfachere Stahlbauteile lässt man in der Nähe fertigen. In Stettin werden die Komponenten dann auf Schiffe verladen. „Erst im Zielhafen werden alle Teile zusammengesetzt und der Kran in Betrieb genommen.“ Von der Bestellung eines Krans bis zur letzten Schraube der Endmontage vergehen etwa 18 Monate.
Bei einem Kran geht es heute um mehr als nur um Stahl und Seile. Der Führerstand gleicht einem Flugzeugcockpit, viele Sensoren melden dem Kranführer die aktuelle Lage von Maschine und Ladung. Die Betriebsdaten können aus der Ferne überwacht werden. Natürlich spielen auch Betriebskosten und Effizienz eine wichtige Rolle. Beim Absenken der Ladung wird Energie ins Stromnetz zurückgespeist.
Grünhagen ist mit der Entwicklung seines Unternehmens rundum zufrieden. „Wir sind auf einem guten Weg. In ein bis zwei Jahren wollen wir zu alter Stärke zurückgefunden haben“, plant er. Eines hat sich aber grundlegend geändert: Von unerwartet steigenden Kosten will er sich nicht noch einmal aushebeln lassen. „Festpreise sind weitestgehend passé – die Welt ist einfach zu volatil geworden“, sagt er bestimmt. „Dafür müssen die Kunden jetzt Verständnis haben.“