
Rettung von der Roten Insel
Auf der Roten Insel in Berlin-Schöneberg haben sie schon oft Pläne geschmiedet, um die Welt zu retten, vermeintliche oder tatsächliche Übel zu überwinden. Jetzt klappt es endlich – aber anders, als es sich Linksbewegte erträumt haben. Das Corona-Virus wird besiegt, und ein Unternehmen, das in dem einstigen Arbeiterkiez zu Hause ist, spielt dabei eine wichtige Rolle. Entscheidend beim Kampf gegen COVID-19 sind die Impfstoffe von AstraZeneca oder Biontech. Sie müssen ihren Weg in Praxen und Impfzentren finden, abgefüllt in Fläschchen, Fertigspritzen und Ampullen aus Glas.
Hier kommt die Ambeg Dr. J. Dichter GmbH ins Spiel. Seit 95 Jahren baut das Unternehmen in Schöneberg Maschinen, die Packmittel für Medikamente produzieren. 94 Jahre der Ambeg-Geschichte verliefen bewegt, aber wirtschaftlich gesehen weitgehend unauffällig. „Dann kam Corona“, berichtet Firmenchef Andreas Dichter. „Seitdem ist alles anders.“

Vor der Pandemie baute Ambeg zwischen 20 und 50 Maschinen pro Jahr. 2021 hat sich die Zahl der Bestellungen glatt verdoppelt. Die Kunden von Ambeg sind große Packmittel-Hersteller, die ihrerseits mit den Ambeg-Maschinen produzierte Pharmaglas-Produkte an die Impfstoff-Hersteller liefern. Dabei sind Stückzahlen im dreistelligen Millionenbereich keine Seltenheit, Vakzine sind der Goldstaub der Gegenwart. Doch ohne sterile und stabile Packmittel nutzt der beste Impfstoff nichts. Maschinenbauer wie Ambeg lassen sich in Europa an einer Hand abzählen, in Deutschland ist Ambeg der einzige Hersteller auf diesem Markt.
Bislang beschäftigte der Betrieb um die 80 Männer und Frauen, heute sind es 120, Tendenz steigend. Das plötzliche Wachstum war für einen Mittelständler gar nicht so leicht zu stemmen. „Glücklicherweise konnten wir eine Reihe von Fachkräften von anderen Firmen übernehmen, die Stellen abbauen mussten“, berichtet Antje Dichter, die das Unternehmen zusammen mit ihrem Mann führt und sich um das Personal kümmert. „Sonst wäre es schwierig geworden.“ Andreas Dichter, gelernter Maschinenbau-Ingenieur, hat das Unternehmen 2003 von seinem Vater übernommen. Ihn und seine Frau, eine gelernte Ingenieurin für Werkstoffwissenschaften, lässt der plötzliche Erfolg äußerlich ungerührt. Sie arbeiten einfach weiter. Die Firma erfordert ihre volle Aufmerksamkeit, auch wegen der Pandemie.

Mittlerweile ist es am Standort recht eng geworden. „Wir hätten gerne einige an unser Grundstück angrenzende Flächen übernommen. Das hat aber leider nicht geklappt“, berichtet Antje Dichter. Nun haben sie eine Halle in Köpenick angemietet, dort werden die fertig produzierten Anlagen zusammengebaut, probeweise in Betrieb genommen und für die Auslieferung an die Kunden vorbereitet.
„Automatische Maschinen zur Bearbeitung des Glases“ – dafür steht die Abkürzung Ambeg. Die Maschinen, die am Stammsitz auf drei Etagen entstehen, tragen so nüchterne Bezeichnungen wie RP16, FS18 oder KM28. Einige sind so lang wie ein Lieferwagen, andere so lang wie ein Sattelschlepper, aber weitaus filigraner konstruiert. Die einen stellen Spritzen her, die anderen Fläschchen. Doch alle arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip, erklärt Andreas Dichter: Sie erwärmen Röhrenglas, das Ausgangsmaterial, formen es um, lassen es erkalten, bedrucken und verpacken es schließlich.

Eine Maschine zur Produktion von Glasfläschchen für Vakzine schafft mehr als 3.000 Stück in einer Stunde. Der Bau von der ersten bis zur letzten Schraube dauert bei Ambeg rund drei Monate. Das Ambeg-Portfolio besteht aus einem Unternehmen auch Spezialmaschinen, etwa zur Produktion von Erlenmeyer-Kolben oder von Christbaumkugeln. 4.000 Maschinen haben seit der Gründung des Betriebs den Werkshof verlassen.
Und wie schaut die Geschäftsleitung auf die Pandemie, die dem Unternehmen so viel Arbeit beschert, aber das Land weitgehend lahmlegt? „In Deutschland haben wir die besten Voraussetzungen, die Impfstoffproduktion voranzubringen“, sagt Andreas Dichter. Hierzulande seien alle Kompetenzen für die Wertschöpfungskette vorhanden – die Packmittel-Produktion sowieso, aber auch Impfstoff-Forschung und -Produktion. „Man müsste alle Beteiligten an einen Tisch bringen, um das Tempo zu erhöhen“, findet er. „Andere Länder sind da konsequenter.“