
Die Motoren-Manufaktur
Zwei Männer stehen vor einer Flugzeugturbine. Mit schnellen Handbewegungen entfernt der eine die Triebwerksverkleidung. Den beiden bietet sich ein für den Laien undurchschaubares Gewirr von Bauteilen, Kabeln und Leitungen. Jetzt wischt der andere mit seiner rechten Hand zur Seite – und plötzlich stehen beide mitten in der Brennkammer, wo sie sich verschiedene Teile ganz genau anschauen.
Das alles geschieht nicht in der Realität. Die Männer tragen VR-Brillen und Datenhandschuhe. Das Triebwerk ist eine virtuelle Projektion. Augmented Reality nennt sich das Verfahren. Es geht über die bekannte Virtual Reality hinaus und ermöglicht unter anderem die genaue Kontrolle, ob die Montage so wie geplant abgelaufen ist. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das Training und die Ausbildung von Montagemitarbeitern.
Bei Rolls-Royce gehört diese Technologie mittlerweile zum Standard. Denn der Triebwerkhersteller arbeitet schon längst an der Zukunft der Luftfahrt. Seit 1993 entwickelt und baut der britische Technologiekonzern in Dahlewitz, südlich von Berlin, Flugzeugtriebwerke. Es sind vor allem Antriebe der BR700-Reihe. Mit einem Durchmesser von mehr als einem Meter treiben sie Businessjets und kleinere Linienmaschinen an. Auch bei der Flugbereitschaft der Bundeswehr kommen sie zum Einsatz. Neben Entwicklung und Produktion befinden sich am Standort Dahlewitz mit seinen rund 3.000 Mitarbeitern auch wichtige, weltweite technische Kompetenzzentren des Konzerns.

Für den Laien am beeindruckendsten ist jedoch die Produktion der Großtriebwerke Trent XWB, die den Airbus 350 antreiben. Allein schon die Halle, in der die Turbinen montiert werden, ist ein technisches Wunderwerk. Sie wurde speziell für die Montage der Trent XWB gebaut und gleicht eher einem riesigen Operationssaal. Überall herrscht penible Sauberkeit und Ordnung. Jede Zange und jeder Schraubenschlüssel haben einen festen Platz.
Alle Bauteile, selbst Kleinteile, werden in Sonderverpackungen angeliefert – immer so viel, wie für den nächsten Montageschritt notwendig ist. Jeder Prozess wird detailliert dokumentiert und elektronisch gespeichert, so dass er auch Jahre später noch nachvollzogen werden kann.
Ordnung und Sauberkeit sind in dieser Umgebung mehr als ein Selbstzweck. Ein in der Maschine vergessener Schraubenzieher, eine lockere Mutter oder ein eingeschlepptes Steinchen – das alles kann spätestens dann verheerende Folgen haben, wenn die Triebwerke unter Volllast auf dem Prüfstand getestet werden. Schlimmstenfalls entsteht ein Schaden von bis zu 20 Millionen Euro, denn so viel kostet ein XWB laut der Preisliste.
Es sind die größten Triebwerke, die Rolls-Royce je gebaut hat. Sie haben einen Durchmesser von drei Metern, bringen fast sieben Tonnen auf die Waage und bestehen aus rund 20.000 Einzelteilen, die von den Mechanikern zusammengesetzt werden. Quasi wie in einer Manufaktur.

Als das erste Großtriebwerk 2017 in Dahlewitz gebaut wurde, dauerte die Montage mehr als drei Monate. Heute schaffen es die Monteure in 21 Tagen. Alle drei Tage verlässt eines dieser ingenieurtechnischen Meisterwerke die Produktion. „Die Triebwerke XWB sind derzeit die sparsamsten Großtriebwerke auf dem Markt“, sagt Dr. Peter Wehle stolz, der Leiter Innovation und Forschung und Technologie. Überhaupt sind Sparsamkeit und Effizienz das große Thema bei Rolls-Royce.
Triebwerke arbeiten bereits heute an der Grenze der physikalischen und technischen Machbarkeit. Jede neue Produktgeneration soll noch sauberer, leiser und sparsamer sein, wobei auch Zuverlässigkeit und die Kosten eine Rolle spielen. „Das sind echte technische Herausforderungen für unsere Ingenieure“, bekennt Wehle. „Sparsame Triebwerke und die Umweltbelastung spielen bei uns seit vielen Jahren eine große Rolle, schon deshalb, weil unsere Kunden sehr daran interessiert sind, noch sparsamer und umweltfreundlicher zu fliegen.“
Rolls-Royce setzt bei Entwicklung und Produktion der Triebwerke modernste Technologien ein, sogar Künstliche Intelligenz (KI). So wurde Ende 2018 in Dahlewitz ein Zentrum für Künstliche Intelligenz eröffnet. Dabei arbeitet das Unternehmen eng mit akademischen Einrichtungen aus der Region zusammen und profitiert von der Start-up-Szene in Brandenburg und Berlin. Auch mit dem Potsdamer Hasso-Plattner-Institut gibt es eine Kooperation.
Ohne Künstliche Intelligenz sind die Herausforderungen auf Dauer nicht mehr zu bewältigen. Etwa beim sogenannten Engine-Health-Management, bei dem Triebwerke online überwacht werden. „Damit sind wir in der Lage, den Verbrauch bei jedem einzelnen Flug zu reduzieren und Wartungs- beziehungsweise Inspektionsintervalle zu optimieren", erklärt Wehle. Viel zu tun bei fast 9.000 Triebwerken, die weltweit rund um die Uhr online gecheckt werden.
Die Herausforderungen für die Zukunft sind für Wehle, die Gasturbine noch weiter zu verbessern, also sparsamer zu machen, und neue Konzepte wie hybridelektrische oder reinelektrische Antriebe zu entwickeln. Vielleicht können hybride Systeme schon vor 2030 im regionalen Luftverkehr eingesetzt werden. Das wären dann neuartige Turboprops. In Dahlewitz wird daran bereits intensiv gearbeitet.