12.04.24Berlin

Sozialpartner machen sich stark für den Standort

Metall-Arbeitgeber und IG Metall fordern bessere Bedingungen für die Industrie

Industriestandort Deutschland stärken!

Der Industriestandort Deutschland ist in Gefahr. In anderen Ländern wird auch aufgrund wettbewerbsfähigerer Rahmenbedingungen mehr investiert. Energisches Gegensteuern ist gefragt – sonst drohen eine verheerende Deindustrialisierung, eine weitere gesellschaftliche Spaltung und eine zunehmende Radikalisierung politischer Debatten und Proteste.

Die Metall- und Elektro-Industrie ist das Herz der Wirtschaft. In den rund 25.000 Unternehmen der Branche arbeiten fast vier Millionen Menschen. In der Branche werden 20 Prozent aller Steuereinahmen und ein Drittel aller Sozialversicherungsbeiträge erwirtschaftet. Die M+E-Industrie ermöglicht es, dass es auch außerhalb der Metropolen sehr viele leistungsfähige und gut bezahlte Arbeitsplätze gibt.

Wir haben Kunden und Lieferanten, aber auch Beschäftigte und Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. Von der industriellen Wertschöpfung hängen weitere zwei Millionen Arbeitsplätze direkt bei Dienstleistern und Handwerk ab. Sie ist somit der Kern für Wohlstand, die Finanzierung des Sozialstaats und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Industrie stärken…

Gewerkschaft und Arbeitgeber betrachten deshalb mit großer Sorge, dass derzeit viel zu viele Standort- und Investitionsentscheidungen in- und ausländischer Unternehmen gegen den Standort Deutschland ausfallen. Die wiederholt hohen Netto-Abflüsse sind bedrohliche Symptome einer Deindustrialisierung. Die M+E-Produktion liegt rund 15 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2018. Die aktuelle Energiepolitik hält die Kosten hoch und nimmt insbesondere den Verlust energieintensiver Grundstoffindustrien als wichtige Teile der industriellen Wertschöpfungsketten mindestens billigend in Kauf. Die Produktion in energieintensiven Industrie-zweigen in Deutschland ist bereits um rund 20 Prozent eingebrochen.

Es ist und bleibt Aufgabe der Unternehmen, Marktchancen zu erkennen und zu nutzen. Wie diese Entscheidungen ausfallen, hängt ganz entscheidend von den Rahmenbedingungen ab. Sie müssen eine wettbewerbsfähige Produktion möglich machen. Die Bundesregierung muss allem voran für konkurrenzfähige Energiekosten sorgen sowie attraktivere Investitionsbedingungen schaffen. Mögliche Stellschrauben wären unter anderem eine Beschränkung der Netzentgelte, die dauerhafte Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß, ein wirksamer Industriestrompreis, Investitionsprämien und die Ausweitung steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten.

Wir fordern zudem einen beschleunigten Infrastrukturausbau auch im ländlichen Raum – u. a. bei erneuerbaren Energien, Ladesäulen, der Energieinfrastruktur und digitalen Netzen. Dafür bedarf es privater und öffentlicher Investitionen, dringend aber auch der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren durch digitale und moderne Verwaltungsverfahren sowie durch die Reduzierung von Verfahrensineffizienzen. Zudem ist eine langfristige Rohstoffstrategie notwendig, die strategische Resilienz und fairen Handel vereint.

…und Fachkräfte gewinnen

Auch die Auswirkungen des demographischen Wandels sind längst spürbar. Schon heute fehlen vielerorts Fachkräfte und das Problem wird sich verschärfen: Mit steigender Tendenz scheiden in kommenden Jahren jährlich 80.000 bis 100.000 M+E-Beschäftigte beziehungs-weise 2 bis 2,5 Prozent der Belegschaft altersbedingt aus. Gleichzeitig bleibt bei M+E inzwi-schen jeder achte Ausbildungsplatz unbesetzt - während fast 2,9 Million junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren keinen formalen Berufsabschluss haben.

Keine Frage: Es wird eine große und gleichwohl notwendige Kraftanstrengung, eine giganti-sche Herausforderung für Unternehmen, die Sozialpartner, Politik und Gesellschaft.

Dazu muss Bildung vor allem aus den politischen Sonntagsreden in praktisches Handeln über-führt werden. Es ist unverzeihlich, dass die Schulen nicht die Aufmerksamkeit und die Unter-stützung bekommen, die sie benötigen. Dass Jahr für Jahr 50.000 junge Menschen – Tendenz steigend – ohne Schulabschluss die Schule verlassen, ist eine Schande für unsere Gesellschaft. Schulen und Berufsschulen brauchen mehr Personal, bessere Ausstattung, einen ausreichenden Etat und Entlastung von Verwaltungsaufgaben, anstatt immer wieder Experimente mit den Schulformen.

Wir brauchen eine systematische Förderung. Die Unterstützung sollte an einheitliche Mindestbildungsstandards in den wichtigsten Fächern gekoppelt und durch adäquate Lernstandserhebungen ermittelt werden. Die Ergebnisse müssen zur Optimierung der Schulbildung vor Ort genutzt werden. Vergleichbarkeit ist Grundlage dafür, Versäumnisse zuordnen und beheben zu können.

Der flächendeckende Ausbau hochwertiger Kinderbetreuung würde es mehr Eltern ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Auch die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften ist eine wichtige Säule. Sprachkurse, erleichterte Anerkennung ausländischer Studien- und Berufsabschlüsse und die Integration der Familien sind hier wesentliche Stellschrauben.

Leider ist die Attraktivität Deutschlands für ausländischen Fachkräfte gerade aus Drittstaaten nicht so hoch, wie es im Wettbewerb um die klügsten Köpfe nötig wäre. Überbordende Bürokratie, langwierige Visaverfahren, komplexe Behördenstrukturen in Bund und Ländern, Sprache, eine mangelhafte Willkommenskultur und nicht zuletzt die Schere zwischen Brutto und Netto sind hier beispielhaft zu nennen.

Während das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz zweifellos ein Schritt nach vorne ist, braucht es den Mentalitätswandel auch in den Behörden, klarere Strukturen, eine flächendeckende Digitalisierung für eine deutliche Beschleunigung der Prozesse und eine Entlastung der Behörden.

Für junge Menschen müssen wir die betriebliche Ausbildung stärken – vor allem durch mehr praxisorientierte Berufsorientierung. Die ausführliche Berufs- und Studienorientierung, verbunden mit fundierten Kenntnissen betrieblicher Abläufe und Berufsbilder, gehört in die Rahmenlehrpläne für alle Schulformen. Eine realistische Vorstellung von der Berufswelt trägt zu einer fundierten Berufswahlentscheidung bei, die den Wünschen und Talenten der Jugendlichen Rechnung trägt.

Bund und Länder sollten daher auch öffentliche Fördermittel und per-sonelle Ressourcen bei den Jugendberufsagenturen stärken. Gerade junge Menschen mit besonderem Förderungsbedarf brauchen mehr und bessere Unterstützung. Gemeinsam werden Gesamtmetall und IG Metall ihren Einfluss auf Betriebe und Politik geltend machen, um die beruflichen Perspektiven für diese Jugendlichen zu verbessern.

Hinzu kommt der gesellschaftliche Stellenwert einer Berufsausbildung. Wir sollten alle unseren Beitrag leisten, damit sie in der Gesellschaft insgesamt wieder gleichrangig zu einer akademischen Ausbildung wertgeschätzt wird.

75 Jahre Grundgesetz und Tarifautonomie

Abschließend bekräftigen die Sozialpartner der M+E-Industrie 75 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, Verabschiedung des Grundgesetzes und Wiedereinführung der Tarifautonomie ihre gesellschaftliche Verantwortung und ihren gemeinsamen Beitrag für den Erfolg der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft. Sie werden in einen strukturierten Dialog zur Stärkung der Tarifpartnerschaft treten.

Dr. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall

Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall

Ihr Ansprechpartner für Tarifpolitik

Andreas Schulz, Geschäftsführer, Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg
Stv. Hauptgeschäftsführer
Andreas
Schulz
Telefon:
+49 30 31005-116
Telefax:
+49 30 31005-201
E-Mail:
Andreas.Schulz [at] vme-net.de