Jetzt kommen die Frauen
Die Frauen und die Metall- und Elektroindustrie, das ist ein schwieriges Verhältnis. Seit vielen Jahren versucht die Branche, mehr Mädchen und Frauen in Produktionshallen und Planungsbüros zu bekommen. Die halten oft noch Distanz: Nur zwei von zehn Beschäftigten sind weiblich, in den Führungsetagen ist es sogar nur eine von zehn.
In Berlin-Wilhelmsruh können sie über diese Zahlen nur schmunzeln. Beim Kraftwerks-Zulieferer KST, einem Mittelständler mit gut 70 Beschäftigten, gehen die Uhren anders. Zwei von drei Positionen in der Führungsriege sind mit Frauen besetzt. „In unserer Branche hat das Seltenheitswert“, weiß Heiko Dittmer. Er ist der einzige Mann in der Leitung.
Dittmer, promovierter Maschinenbau-Ingenieur, hat das Unternehmen in den neunziger Jahren als Management-Buy-Out von der ABB-Kraftwerkssparte übernommen, zusammen mit Reinhard Heidemann als Partner. Im Team mit dessen Tochter Aline Ruppin leitet er KST heute. Dittmers Tochter Annika Winkelmann arbeitet als Prokuristin im Betrieb und wird eines Tages seinen Job übernehmen. „Die beiden Frauen kümmern sich schon komplett um das Tagesgeschäft. Das klappt vorzüglich“, lobt er.
„Roboter ergeben für uns keinen Sinn“
Bei KST Kraftwerks- und Spezialteile, so der vollständige Name des Unternehmens, geht es um Großes und Schweres. Gebaut werden Ersatzteile für Kraftwerke: Schwungräder, Stopfbuchsen, Gleitlager, Ventilsitze, Diffusoren, Wellen, Pumpen, Gehäuse – nahezu alles, was bei Turbomaschinen nach einer Revision im Lauf der Jahre ersetzt werden muss. „An mangelnder Spannung und Vielfalt liegt es jedenfalls nicht, dass wir so wenig weibliche Beschäftigte haben“, ist er sicher. Zwei kleinere Betriebe in Görlitz und Essen gehören ebenfalls zur Firmengruppe, zusammen kommt man auf einen Jahres-Umsatz von 25 Millionen Euro.
Die Werkshalle liegt hart am einstigen Mauerstreifen, nebenan arbeiten ABB, General Electric und Stadler. Matt glänzende, massive Metallteile prägen das Bild. Manche haben einen Durchmesser von bis zu drei Metern und wiegen bis zu fünf Tonnen. Trotzdem müssen sie bis auf den hundertstel Millimeter genau gefertigt sein. Bei den meisten handelt es sich um Einzelstücke, Standardteile sind selten. „Fünf gleiche Komponenten sind bei uns schon eine Serie“, sagt Dittmer. Geliefert wird in alle Welt. Die USA, Asien, Nordafrika und Europa sind die wichtigsten Zielregionen.
Hohes Tempo bei gleichzeitiger Präzision, das macht bei KST den Unterschied, sagt Dittmer. „Wir stellen Bauteile mitunter innerhalb von fünf Wochen her, obwohl die Materialbeschaffung oft schon vier Wochen dauert.“ Mit dem hohen Druck müssten die
Beschäftigten umgehen können. „Das Wichtigste ist, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn es mal eng wird.“ Für die Kunden von KST steht viel auf dem Spiel. „Steht ein Kraftwerk länger still als geplant, etwa weil sich die Lieferung eines wichtigen Teils verzögert, verliert der Kunde schnell eine sechsstellige Summe – pro Tag.“
Deshalb legt das Unternehmen großen Wert auf qualifizierte Fachkräfte. „Die machen für uns den Unterschied und sind im Kerngeschäft nicht zu ersetzen. Roboter ergeben in unserem Betrieb keinen Sinn, wir setzen auf hochwertige Handarbeit.“
Die Turbinen, deren Lebensdauer KST verlängert, arbeiten in Kraftwerken, die mit Kohle, Gas oder Kernenergie betrieben werden. Ist die Energiewende eine Gefahr für das Geschäftsmodell? „Große Kraftwerke wird es noch lange geben“, ist Dittmer sicher. „Zudem setzt sich die Technik zur Abscheidung von Kohlendioxid bei fossilen Kraftwerken mehr und mehr durch.“ Und hier zu Lande steht nun der Bau vieler neuer Gaskraftwerke an. Dabei rechnet sich auch KST Chancen auf Aufträge aus.
Und wie geht es weiter? Der Generationswechsel ist eingeleitet, in ein paar Jahren sollen die Frauen die Geschicke bei KST komplett in die Hand nehmen. Und auch für den Fortbestand der Firma ist gesorgt - Dittmers Tochter Annika Winkelmann hat kürzlich zum zweiten Mal Nachwuchs bekommen.